E. Höffner: Geschichte und Wesen des Urheberrechts

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Titel
Geschichte und Wesen des Urheberrechts.


Autor(en)
Höffner, Eckhard
Erschienen
München 2010: Verlag Europäische Wirtschaft
Anzahl Seiten
383 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Monika Dommann, Historisches Seminar, Universität Basel

Eckhard Höffner: Geschichte und Wesen des Urheberrechts. München, Verlag Europäische Wirtschaft, 2010. 2 Bände, 868 Seiten.

Die Geschichtswissenschaft hat sich im Gegensatz zu anderen Disziplinen nie professionalisiert. Weil in jüngster Zeit das Medium Internet die Handbücher als historische Informationsquelle abgelöst hat, wurde diese grundlegend begrüssenswerte Offenheit der historischen Wissensproduktion in problematische Dimensionen gerückt. Die Qualitätsüberprüfung von geschichtswissenschaftlichen Tatsachen ist im Zeitalter von Wikipedia definitiv der Kontrolle und Einflussnahme der historischen Wissenschaften entglitten. Wer heute historisches Wissen sucht, geht dafür nicht zuerst in die Bibliothek, sondern bedient sich einer Suchmaschine und landet dabei zuerst mal bei Wikipedia.

Als Copyrighthistorikerin ist mir nicht entgangen, dass im letzten Herbst im Eintrag von Wikipedia zur Geschichte des Urheberrechts ein neues Werk eines unbekannten Autors auftauchte. 1 Als ich auf Internetportalen Interviews mit dem Autor entdeckte, war mein Interesse endgültig geweckt. 2 Da hatte mal einer eine richtig spannende und auch provokative Behauptung aufgestellt: Deutschland hätte sein take off im Rahmen der Zweiten industriellen Revolution im 19. Jahrhundert massgeblich der Tatsache zu verdanken, dass es im Vergleich zu England zu Beginn des 19. Jahrhunderts kein Urheberrecht hatte. Weil in Deutschland der Nachdruck blühte, erschienen mehr neue Bücher als in England, was den Austausch über technisches Wissen förderte und Innovationen begünstigte.

Eckhard Höffner überliess die Distribution seiner rechtswissenschaftlichen Dissertation nicht einem der einschlägigen Wissenschaftsverlage, sondern brachte das Buch im eigenen Verlag heraus und deponierte die 80 Pflichtexemplare bei seiner Alma Mater in München. Insgesamt handelt es sich also um eine verheissungsvolle und brisante Ausgangssituation: Ein Jurist fordert die dem Urheberrecht lange unkritisch verpflichtete Rechtswissenschaft mit harten wirtschaftshistorischen Fakten heraus. Leider vermag die Arbeit dieses überaus wünschbare Unterfangen nicht zu leisten und das Versprechen auf dem Buchdeckel («bahnbrechende Untersuchung ») nicht einzulösen, weil sie es auch auf 868 Seiten nicht schafft, die interessante These historisch zu plausibilisieren.

Ohne Fragen gibt es keine Antworten, zumindest nicht in der Historiographie. Dem ersten Band fehlt eine Fragestellung, welche einen Weg durch den Dschungel der umfassenden Forschungsliteratur zur Geschichte des Buchgewerbes und das Labyrinth der Rechtsnormen und ihrer systemimmanenten Begriffsklaubereien bahnen würde. Es fehlte ein Lektor, der den Autor gedrängt hätte, seinen Text auf die in der Forschungsliteratur bislang unterbelichtete komparative Perspektive des Ländervergleichs (Deutschland, England und Frankreich) anhand einer reduzierter Anzahl von Faktoren zu organisieren.

Der eigentliche empirische Teil der Untersuchung umfasst das 3. Kapitel des zweiten Bandes («Zum Sachverhalt», S. 135–268) und verfolgt das Ziel, die Rechtsnormen in Deutschland und England im 18. und 19. Jahrhundert einer ökonomischen Analyse zu unterziehen. Ökonomische Studien zur Annahme, dass das Copyright zur ökonomischen Wohlfahrt beitrage, wurden 1966 erstmals ge fordert und sind bis heute rar geblieben.3 Daran hat auch die Verbreitung neuer Methoden zur kliometrischen Vermessung der Vergangenheit wenig geändert.

Den Lücken und Inkongruenzen des Datenmaterials kommen die Ökonometriker mit zunehmend komplexeren stochastischen Modelle bei: was nicht direkt gemessen werden kann, wird indirekt «rekonstruiert». Der Rechtsanwalt und Kleinstverleger Höffner bedient sich nicht solcher Methoden der Zahlenakrobatik. Er unterbreitet dem Leser die disparaten Informationen aus Quellen und Literatur und das lückenhafte statistische Zahlenmaterial, um den Korrelationen zwischen Produktionskosten, Produktionsoutput, Nachfragevolumen und Preisen des Buchmarktes sowie den Autorenhonoraren auf die Spur zu kommen. Die Quintessenz zum Schluss dieser vergleichenden Darstellung (S. 253–268) ist bestechend: Höffner widerlegt die in der Öffentlichkeit derzeit wieder gebetsmühlenartig vorgebrachte Behauptung, dass mit mehr Urheberrecht mehr neue Bücher und mit weniger Urheberrecht weniger neue Bücher gedruckt würden. Der Autor schätzt, dass in der reichen Industrienation England um 1770 trotz Copyright bloss etwa 600 000 Druckexemplare erschienen, während im Agrarstaat Deutschland ohne einheitliche Nachdrucksrechte bereits um 1780 rund 4 Mio. neue Druckwerke auf den Markt kamen.

Das Problem dieses Buches liegt nicht im Umgang mit dem Datenmaterial. Die Herangehensweise des Autors ist im Vergleich zu den ökonometrischen number crunchers vielleicht dilettantisch, doch sie bleibt immer transparent und auch kritisch gegenüber Lücken und Grenzen der gewählten Methode. Das Problem liegt darin, dass dabei viele Fragen auf der Strecke bleiben: Wie kam es dazu, dass in England im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert weniger neue Bücher als in Deutschland gedruckt wurden? Warum nahm die Buchproduktion in Deutschland während dieser Zeit massiv zu? Welche Rolle spielten dabei das Recht, die technischen Erneuerungen in der Drucktechnik, die intellektuellen Zirkel, die Zensur, die politischen Umbrüche? Und wie sind die einzelnen Faktoren dabei zu gewichten? Fragen dieser Art erfordern eine historische Erklärung. Was bei einem Copyright Case vor Gericht oder in gesellschaftlichen Debatten über Revisionen des Urheberrechts als «Sachverhalt» in die richterliche Waagschale geworfen werden kann, taugt nicht zwingend als historische Erklärung. Reinhard Koselleck hat diesen Sachverhalt auf den Punkt gebracht: «Die Geschichte ist weder ein Gericht noch ein Alibi.» 4

1 http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Urheberrechts
2 http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,709761,00.html und http://www.heise.de/tp/artikel/ 33/33092/1.html, http://www.heise.de/tp/artikel/33/33093/1.html [Zugriff: 5. 2. 11, 19:57 Uhr]
3 Hurt, Robert M., Schuchman, Robert M., «The Economic Rationale of Copyright», in: American Economic Review, 55, 2 (1966), S. 421–432.
4 Koselleck, Reinhard, Vom Sinn und Unsinn der Geschichte. Frankfurt a. M., 2010, S. 31.

Zitierweise:
Monika Dommann: Rezension zu: Eckhard Höffner: Geschichte und Wesen des Urheberrechts. München, Verlag Europäische Wirtschaft, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 507-508

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 507-508

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